Kurioses Notgeld - PAPIERGELD
VORWORT, EINFÜHRUNG Text: Kai Lindman, Fotos: Oliver Sens und Thomas
Schmidtkonz
Es war ein harter Kampf für
die Menschen, aber mit der ihnen eigenen Beharrlichkeit ließen sie
sich auch von gewaltigen Rückschlägen nicht schrecken und entwickelten
sich langsam aber sicher zur beherrschenden Rasse auf der Erde.
Aus Jägern und Sammlern
wurden Hirten, Fischer und Bauern. Die Sippen wurden größer
und die Arbeitsteilung nahm zu. Doch mit fortschreitender Spezialisierung
wurde auch der Handel immer notwendiger und schon bald war man an die Grenzen
dessen gelangt, was mit Tauschhandel machbar war.
"Was tun?" fragte sich unser
Urahne - und er erfand das Geld. |
Nicht lange dauerte es, und
das Geld regierte die Welt. Und weil das so war, sollte es auch nach etwas
aussehen. Schon wurden die Metallstücke nicht mehr einfach nur nach
Gewicht getauscht, sondern man begann, sie zur Selbstdarstellung zu nutzen
und mit allerlei Bildern und Worten zu versehen.
Der Beruf des Münzherstellers
gehörte zu den angesehensten und die Herrscher wachten eifersüchtig
über das Wohl und Wehe ihrer Finanzen. Einigen jedoch war das Wachen
zu mühsam. Sie gaben das Geld lieber mit vollen Händen aus und
wenn nichts mehr da war, erließen sie eine neue Steuer, um noch mehr
davon aus ihren Untertanen herauszupressen.
So ließ es sich eine
Zeitlang lustig leben. Irgendwann jedoch gab es nichts mehr zu holen und
dann machte man eben bankrott; verloren das Geld, verloren die Macht und
- oft genug - auch das Leben.
Der Geldumlauf wuchs. Die
klugen Reichen wurden immer reicher. Manchem klugen Armen gelang es, ein
kluger Reicher zu werden. Aber die Masse blieb arm und viele wurden immer
ärmer. |
Bald waren die Metallstücke
so groß und unhandlich, dass man sie nur noch mit großem
Kraftaufwand bewegen konnte. Schwedisches Kupfergeld wurde in großen
Platten hergestellt, deren 8 Taler- Stücke im 17. Jahrhundert fast
20 kg wogen und für jedes Portemonnaie zu groß waren.
Auch die
Herzöge von Braunschweig
und Lüneburg, die das Glück hatten, im Harz Edelmetalle fördern
zu können, prägten gewaltige Mehrfachtaler aus Silber, die mit
einem Durchmesser von über 70 Millimetern und einem Gewicht von rund
465 Gramm für das 16-Taler-Stück des Herzogs Julius von 1588
gewaltige Anforderungen an die Haltbarkeit der Hosennähte stellten.
(Wenn auch wohl niemand mit so einem Stück in der Tasche spazieren
ging; 16 Taler waren damals ein riesiges Vermögen!) |
So wuchs allenthalben - natürlich
nur bei den Besitzenden - der Wunsch nach Erleichterungen im Zahlungsverkehr.
Wenn man sich auch mit Kreditbriefen, Wechseln und anderen schriftlichen
Vereinbarungen behalf, noch war der Wert des Geldes an den Wert des Metalles
gekoppelt, aus dem die Münzen hergestellt waren.
Doch halt, da gab es ja nicht
nur uns Mitteleuropäer auf dieser Welt, auch wenn wir uns für
den Nabel derselben hielten. Nein, da waren doch Gerüchte von fernen
Völkern an unser Ohr gedrungen. Hatte da nicht so ein tollkühner
Venezianer es gewagt, immer weiter nach Osten zu reisen, und war er dabei
nicht zu einem hochzivilisierten Volk gelangt, das schon seit Jahrtausenden
Geld aus Papier besaß?
Nun, was da Marco Polo 1296
über das Geldwesen der Chinesen berichtete, stieß bei uns auf
Unglauben und auf Ablehnung, dennoch entsprach es den Tatsachen. Obwohl
in China schon seit dem 7. Jahrhundert Papiergeld ausgegeben wurde, sind
die ältesten erhaltenen Scheine aus der Epoche des großen Krieges
(Hung-Wu) von 1368-1398.
Diese Scheine sind für
China jung, für europäische Verhältnisse aber alt, denn
erst einhundert Jahre später kam es zu der ersten Ausgabe von Papiergeld
in Europa. Anlass dafür war aber nicht die Einsicht in die Vorteile
solchen Geldes, sondern nur der Mangel an Metall. |
Das
erste "Notgeld" aus Papier |
Als nämlich 1483 die
Mauren die spanische Stadt Alhama belagerten, konnte der Befehlshaber der
eingeschlossenen Truppen, Graf von Tendilla, den Sold nicht mehr bezahlen.
Da aber bekanntlich Ordnung auch in der größten Not sein muß,
ließ er Papiergeld herstellen, das nach dem Ende der Belagerung gegen
"richtiges" Geld, also gegen Münzen, eingetauscht wurde.
Offensichtlich war jeder,
der so ein Stück Papier hatte, begierig darauf, es sofort wieder einzutauschen,
denn es ist nicht ein Schein erhalten geblieben.
So brachte also die "Not"
in den belagerten Städten die Europäer dazu, sich zum ersten
Mal mit Geldscheinen zu befassen. Und die "Not" sollte auch weiterhin mit
dem Papiergeld eng verbunden bleiben, denn die nächsten Ausgaben geschahen
ebenfalls in Notzeiten, vor allem während des 30-jährigen Krieges
von 1618 bis 1648, als viele belagerte Städte kurzzeitig "Notgeld"
aus Papier herstellen ließen. |
Die
ersten Banknoten in Europa |
Diese Erfahrungen aus Kriegszeiten
gingen nicht verloren. Die Zeit war reif für den ersten, größeren
Versuch einer Papiergeldausgabe. Wo aber konnte dieser Versuch gestartet
werden? Erinnern Sie sich noch an die großen Kupferplatten? Richtig!
In Schweden hatte man langsam die Taschen zu voll von dem Riesengeld und
so durfte mit königlicher Genehmigung der aus Riga stammende Johann
Palmstruch 1656 eine Bank eröffnen, die bereits 1661 mit der Ausgabe
der ersten richtigen europäischen Banknoten begann.
|
Es
gibt viel Ärger mit dem neuen Geld |
Zu Anfang ging alles gut, doch dann
machte
Johan Palmstruch den Fehler, den nach ihm auch die meisten
anderen Papiergeldemittenten machten: Sie konnten dem Drang nicht widerstehen,
mehr Scheine auszugeben, als durch vorhandenes Vermögen gedeckt waren.
Das brachte über kurz oder lang jeden in Schwierigkeiten und so endeten
die Versuche immer wieder mit Inflationen oder Bankzusammenbrüchen,
die keineswegs halfen, das Vertrauen der Menschen in diese neue Art der
Zahlungsmittel zu fördern. |
Die Papiergeldgeschichte des
17. und 18. Jahrhunderts ist angefüllt mit kleinen und großen
Krächen, deren gewaltigster die gescheiterte Banknotenausgabe nach
der Revolution in Frankreich war. Die Regierung druckte
Assignaten - so
nennt man heute diese Geldscheine - ohne Unterlass und ohne jede Deckung.
Kein Wunder, dass nicht nur die Finanzmärkte, sondern wegen deren
Zusammenbruch auch die Ideen der Revolution keine Überlebenschancen
hatten.
Erst als die Nachwirkungen
dieses Finanzfiaskos mit der Neuordnung des Bankenwesens auf Betreiben
Napoleons im Jahre 1800 ausgestanden waren, begann der unaufhaltsame Siegeszug
des Papiergeldes in Europa und dem Rest der Welt. |
Frühes
deutsches Papiergeld |
Die ältesten deutschen
Geldscheine, die erhalten geblieben sind, sind fast alles Notgeldscheine.
Wir kennen heute Ausgaben aus belagerten Städten von Mansfeld in Thüringen
(1622), Mainz (1793), Kolberg (1807) und Erfurt (1813). |
Endlich
- richtige deutsche Banknoten |
Danach aber übernahmen
staatliche Stellen die Ausgabe von Geldscheinen und das "Notgeld" geriet
immer mehr in Vergessenheit.
Alles schien in bester Ordnung.
Die Wirtschaft florierte; die Nominale der Banknoten und der deutsche Hochmut
stiegen. Alles ging seinen mehr oder minder geordneten Gang; bis zu jenem
28. Juni 1914, als im fernen Serbien der österreichische Thronfolger
Franz Ferdinand und seine Gemahlin ermordet wurden. Kurz darauf fand sich
Deutschland an der Seite Österreichs im ersten Weltkrieg wieder.
Deutscher Darlehenskassenschein vom 1. Weltkrieg
für die besetzten russischen Gebiete (Bild: Thomas Schmidtkonz) |
Das
erste deutsche Notgeld im 20. Jahrhundert |
Mit Deutschlands Kriegseintritt
begann die Geschichte des deutschen Notgeldes im 20. Jahrhundert, die erst
nach der Währungsreform 1948 ihren vorläufigen Abschluss
fand. Dazwischen lagen Zeiten der Hoffnung, dass alles vorbei sei,
aber auch Zeiten tiefster Verzweiflung, wie die Inflation mit ihren nicht
mehr zu zählenden Nullen auf den Geldscheinen, die Weltwirtschaftskrise
und - vor allem - der zweite Weltkrieg, in denen niemand mehr einen Ausweg
zu finden glaubte.
Der erste Notgeldschein des
zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland wurde vermutlich am 31. Juli 1914
in Bremen ausgegeben, also noch vor Beginn des ersten Weltkrieges. Ihm
folgten dann aber innerhalb kürzester Zeit so viele andere, dass
bis heute ihre genaue Zahl nicht feststeht. Vermutlich haben zu Beginn
des Krieges rund 460 verschiedene Stellen fast 2000 verschiedene Scheine
ausgegeben, wobei Abweichungen im Papier, in den Kontrollnummern, in der
Textanordnung, den Stempeln und den Unterschriften nicht mitgezählt
wurden.
Diese Entwicklung wurde durch
Kleingeldhamsterei, Panikkäufe und viele andere Gründe vor allem
in den vom Feind bedrohten, grenznahen Industriegebieten Elsaß und
Schlesien eingeleitet. Hier konzentrieren sich die frühen Notgeldausgaben,
die besonders deswegen für Aufsehen sorgten, weil sie zum erstenmal
der siegesgewissen deutschen Bevölkerung vor Augen führten, dass
doch nicht alles Gold war, was da glänzte. Durch diese Ausgaben wurde
nämlich das Recht der Notenbank gebrochen, allein Geldscheine ausgeben
zu dürfen. Da aber der akute Zahlungsmittelmangel zu großer
Unruhe in der betroffenen Bevölkerung führte - was man auf jeden
Fall vermeiden wollte - wurden diese Ausgaben nachträglich für
rechtmäßig erklärt.
Dem ersten Notgeldsturm folgte
bald der zweite. Der länger als erwartet andauernde Krieg führte
zum Steigen der Edelmetallpreise. Der innere Wert der silbernen ½-Mark-Stücke
wurde größer als ihr Nennwert, sie verschwanden vom Markt. Diese
Lücke mußte von den Nickelmünzen geschlossen werden, aber
ihre Menge reichte einfach nicht aus. Zudem verschwanden langsam auch die
Nickelmünzen, weil das kriegswichtige Metall anderweitig gebraucht
wurde. Eisen- und Zinkmünzen traten an ihre Stelle, aber die Prägeanstalten
konnten den Bedarf nur zu einem Bruchteil decken. So blieb den Städten
und Gemeinden, den Industriebetrieben, Händlern und Gastwirten gar
nichts anderes übrig, als ihr eigenes Kleingeld zu produzieren. |
Neues
Notgeld am Ende des Krieges |
Wer nun aber geglaubt hatte,
der Notgeldbedarf sei irgendwann gedeckt und in der Wirtschaft könne
man wieder zu geordneten Verhältnissen finden, sah sich getäuscht.
Nicht nur, dass der Mangel an Kleingeld bestehen blieb und immer mehr
Ausgaben im Deutschen Reich nach sich zog; nein, das Ende des Krieges brachte
auch noch einen Mangel an Großgeldscheinen mit sich, der dazu führte,
dass ab Oktober 1918 auch Scheine mit Nennwerten von 1 bis zu 100
Mark privat hergestellt und ausgegeben werden mussten.
Die Flut der Notgeldausgaben
war inzwischen so groß geworden, dass es kaum noch möglich
war, alle Ausgaben der näheren Umgebung zu kennen, geschweige denn,
Ausgaben weiter entfernt gelegener Orte. |
Notgeld
- auch etwas zum Sammeln! |
Die große Menge der
Notgeldscheine brachte auch die Sammler auf den Plan. Bereits die Ausgaben
von 1914 waren zu begehrten Sammelobjekten geworden und schnell bezog das
Interesse auch die späteren Ausgaben mit ein. Überall gab es
Notgeld zu kaufen. Fast jeder Tabakwarenhändler bot auch Scheine an.
Sammlerklubs schossen wie Pilze aus der Erde, die Stadtverwaltungen, Firmen
und Institutionen, die bereits Notgeld ausgegeben hatten, konnten sich
vor Nachfragen von Sammlern kaum retten. So wurden bald Sondergebühren
für die Abgabe von Scheinen eingeführt und - da die Nachfrage
immer größer wurde - schließlich sogar spezielle Scheine
für Sammler gedruckt.
Ab Anfang 1921 zielte fast
die gesamte Notgeldproduktion nur noch auf den Geldbeutel der Sammler.
Genügte vorher ein Schein für eine Wertstufe, so waren es jetzt
oft vier oder sechs, manchmal sogar bis zu 20 Scheine. Das brachte genügend
Geld in die leeren Kassen.
Doch die Konkurrenz wurde
schnell größer. Am Ende gab es wohl von über 1400 Stellen
diese Scheine, die, da oft in zusammengehörenden Reihen produziert,
"Serienscheine" genannt werden. Um seine eigenen Scheine weiterhin gut
verkaufen zu können, mußte man sich schon etwas einfallen lassen.
So gab es ganz ungewöhnliche
und ungebräuchliche Nominale wie die Scheine von Wittenburg für
99, 199 und 299 Pfennige; oder teilbares Kleingeld, auch hier völlig
ungebräuchliche Nominale wie die 97+2+1 Pfennige aus Freiberg in Sachsen.
Eine beliebte Methode war die
Verwendung ungewöhnlicher Materialien. So benutzte Gustav Habeck in
Stralsund zerschnittene Spielkarten,
während die Stadt Bielefeld ihre Scheine auf Leinen,
Jute,
Samt
oder Seide druckte.
Die Stadt Osterwieck verwendete
Leder für ihre Notgeldscheine und der "Deutsche Handlungsgehilfen
Verband" sogar dünne Sperrholzbrettchen. |
Vielen anderen Ausgebern blieb
nichts anderes übrig, als durch ungewöhnliche Gestaltung des
vorhandenen Platzes das Interesse der Sammler auf sich zu ziehen. So kam
es zu einem künstlerischen Wettstreit, der vielen Heimatkünstlern
Gelegenheit bot, sich mit einem guten Entwurf ein paar Mark in einer schweren
Zeit zu verdienen. Doch auch einige der bekanntesten Künstler Deutschlands
beteiligten sich an dem Spiel und steuerten manchen großartigen Schein
bei.
Runder Notgeldschein (Foto: Thomas Schmidtkonz) |
Die Verwendung von Briefmarken
anstelle von Kleingeld hatte in ganz Deutschland solchen Umfang angenommen,
dass es Dutzende von verschiedenen Systemen gab, um die Briefmarken
zu schützen und gleichzeitig Werbung zu treiben. Aus ganz Deutschland
sind mehrere Tausend solcher Briefmarkengelder und "Kapselmarken" bekannt.
|
Die
Reichsbank verbietet die Ausgabe von Notgeld |
Dann kam das Jahr 1922. Die
Ausgabe von Notgeld hatte jeden Rahmen gesprengt und die Bemühungen
der Reichsbank, genügend Münzen und Banknoten zur Verfügung
zu stellen, waren endlich von Erfolg gekrönt. So kam es nach manchen
Gerüchten und vielem Hin und Her am 17. Juli 1922 zum endgültigen
Verbot aller Notgeldausgaben. |
Ersatzzahlungsmittel
in Gefangenenlagern |
Auf ein besonderes Gebiet
der Geldausgabe müssen wir hier noch eingehen. Schon kurz nach Beginn
des ersten Weltkrieges machte die deutsche Armee die ersten Gefangenen.
Die militärischen Anfangserfolge ließen die Zahl der Internierten
schnell gewaltig ansteigen und überall in Deutschland wurden Gefangenenlager
eingerichtet, in denen die Kriegsgefangenen untergebracht wurden.
Die einfachen Soldaten mussten
arbeiten und erhielten nach den Regeln der Genfer Konvention dafür
Lohn. Die Offiziere bekamen auch ohne Arbeit einen Teil ihres Soldes. Diese
Beträge wurden aber nicht in offiziellen Scheinen und Münzen
ausgezahlt. Statt dessen fertigte man eigenes Geld an, das nur innerhalb
des Lagers Gültigkeit hatte. Damit sollte verhindert werden, dass
ein Flüchtling außerhalb des Lagers einkaufen und dadurch seine
Flucht erleichtern konnte.
Kriegsgefangenenlagerscheine
sind kein Notgeld, das von der Bevölkerung benutzt werden konnte.
Da sie aber wie diese Ausgaben infolge des Krieges entstanden und natürlich
auch "Ersatzzahlungsmittel" sind, werden sie viel gesammelt. |
Weiter oben habe ich schon
auf das Verbot allen Notgeldes am 17. Juli 1922 hingewiesen. Die Erleichterung
der Bevölkerung über das Ende der "Zettelwirtschaft" war genau
so groß, wie das Bedauern der Ausgabestellen und Händler, die
ja mehr oder minder ordentlich an den Verhältnissen verdient hatten.
Die Meinung der Sammler war
geteilt. Einige hofften, sich jetzt in Ruhe der Vervollständigung
ihrer Sammlungen widmen zu können, andere bedauerten, dass es
nun nichts Neues mehr gäbe. Diesen Sammlern konnte bald geholfen werden.
Schneller als sie oder sonst jemand es erwartet hatte und gewaltiger als
es sich irgend jemand wohl hatte vorstellen können, brach die Inflation
über Deutschland herein.
Inflation, dieses Schreckgespenst
aller Sparer, Verdiener und Finanzminister, dieses Paradies für Schuldner,
Schieber und Schwarzhändler, was ist das eigentlich? Im Grunde ist
es ganz einfach: Das Geld wird jeden Tag weniger wert.
Es fängt meistens relativ
langsam an, wie in jenen Herbsttagen des Jahres 1922 in Deutschland. Da
machte sich auf einmal ein Mangel an Scheinen mit Werten zwischen 100 und
5000 Mark bemerkbar. Wozu brauchte man überhaupt solche Scheine? |
Nun, die Dinge des täglichen
Bedarfs waren knapper geworden, Deutschland zahlte seine Reparationen für
den verlorenen Krieg nicht mit Geld, sondern vor allem mit Maschinen und
Waren. Diese fehlten auf den Inlandsmärkten und zogen im Preis an.
Um sie bezahlen zu können, mussten die Arbeiter mehr verdienen.
Um ihre Arbeiter besser entlohnen zu können, mussten die Arbeitgeber
ihre Waren verteuern. Die Spirale fing an, sich zu drehen. Die Reichsdruckerei
in Berlin konnte nicht genug Scheine produzieren, um den Bedarf zu decken.
Doch dieser Mangel ließ sich beseitigen. Wie, das wussten die
Menschen noch aus den vergangenen acht Jahren: Man produzierte sein eigenes
Geld.
Notgeldschein der Deutschen Reichsbahn über 100 Milliarden Mark von 1923
(Bild von Thomas Schmidtkonz) |
Doch die Ereignisse zum Jahresende
1922 bedeuteten nicht das Ende der Inflation - im Gegenteil! Im Frühjahr
1923 hatte es zwar für drei, vier Monate den Anschein, als seien die
Bemühungen der Regierung und der Reichsbank erfolgreich und die Preisspirale
könnte zum Stillstand gebracht werden. Doch die Besetzung des Rheinlandes
durch die Franzosen - angeblich hatten die Deutschen einen Eisenbahnwaggon
mit Telegraphenmasten als Reparationszahlung nicht geliefert - und der
darauf folgende Generalstreik in den besetzten Gebieten machten alle Bemühungen
zunichte.
Im Juli wurde die Geldentwertung
erneut deutlich spürbar. Die Waren wurden immer teurer, die Zahlungsmittel
immer knapper. Die Reichsbank versuchte verzweifelt, der Situation Herr
zu werden. Die Druckpressen der Reichsdruckerei liefen Tag und Nacht und
konnten doch nicht im geringsten mit dem wachsenden Geldbedarf Schritt
halten.
|
Bemühungen
der Reichsbank |
Die Entwürfe der Reichsbanknoten
wurden immer einfacher und schmuckloser; man verzichtete darauf, die Rückseite
der Scheine zu bedrucken; nichts half. Die Reichsbank wagte einen ungewöhnlichen
Schritt und beauftragte Privatdruckereien mit der Herstellung von Banknoten.
Am Ende waren es bis zu 135 Druckereien im ganzen Deutschen Reich, deren
Personal mit der Produktion von Papiergeld allein für den Staat beschäftigt
war. Aber - die Inflation war schneller! |
So
viel Notgeld wie nie zuvor |
Nie vorher oder nachher hat
es in Deutschland so viel Notgeld gegeben wie in den fünf Monaten
Juli bis November 1923. Bisher sind mehr als sechstausend Ausgebestellen
bekannt, die zwischen einem und mehreren hundert verschiedener Scheine
verwendet haben.
Niemand kennt die genaue Zahl
der nach Gestaltung, Ausgabedatum und Nennwert unterschiedlichen Scheine,
die in Deutschland im Umlauf waren. Über hunderttausend werden es
gewesen sein. Zählt man auch noch die für Sammler interessanten
Varianten bei der Papierstärke und -farbe, dem Wasserzeichen, der
Form der Unterschriften, den verwendeten Stempeln und den Kontrollnummerformen
sowie die Veränderungen der Textanordnung und die Druckfehler, erhält
man eine Zahl, die irgendwo zwischen einer halben und einer Million Scheine
liegt. |
Niemand
kennt sich mehr aus |
Wie schon weiter oben gesagt:
Die Inflation war ein Schreckgespenst für die Betroffenen. Was dem
heutigen Sammler das Sammeln erst reizvoll macht, nämlich die große
Zahl der unterschiedlichen Ausgaben und dazu die unendlichen Varianten,
das war für alle in Deutschland lebenden Menschen in der zweiten Hälfte
des Jahres 1923 schrecklicher Alltag. Wer sollte sich denn in der großen
Zahl der im Umlauf befindlichen Scheine auskennen? Wer konnte schon entscheiden,
ob ein Schein echt oder eine Fälschung war? Wer wußte schon,
ob ein Aussteller wirklich die Scheine wieder einlösen wollte und
konnte, oder ob er nur schnell an der heimischen Druckerpresse den Grundstock
zu einem bescheidenen Vermögen gelegt hatte? Selbst die Banken und
Sparkassen waren überfordert. Man hatte längst den Überblick
verloren!
Um der Papiermengen wenigsten
etwas Herr zu werden, teilten die Institute von Zeit zu Zeit mit, dass
man Scheine unter einem bestimmten Nennwert nicht mehr annähme und
Sparbeträge unter einer gewissen Höhe nicht mehr verzinse. Doch
schon wenige Tage später waren auch die übrig gebliebenen Summen
nicht einmal mehr das Papier wert, auf das sie gedruckt oder geschrieben
waren. |
Ein
Paradies für Sammler, ein Alptraum für die Betroffenen! |
In den Betrieben, Geschäften
und Banken ging ein großer Teil der Zeit vieler Beschäftigter
damit drauf, Geld zu sortieren, zu zählen und zur Weitergabe vorzubereiten.
Und diese Arbeit musste schnell gehen, denn am nächsten Tag war
das Geld schon wieder weniger wert. |
Eine Hausfrau, die am Ende
des Krieges 1918 die 25 Pfennige für ein Ei noch mit einer kleinen
Münze aus dem Portemonnaie bezahlen konnte, mußte 4 Jahre später
- im Herbst 1922 - schon einige Scheine auf den Tisch des Händlers
legen, um die 180 Mark begleichen zu können.
In der Endphase der Inflation
im November 1923 hatte sie unter Umständen einen ganzen Waschkorb
voller Scheine abzuliefern, ehe die stolze Summe von achtzig Milliarden
Mark für ein Ei erreicht war. Hätte man die Nullen in dem Betrag
anstelle der Eier essen können, so wären es immerhin - zählen
Sie selbst: 80.000.000.000 - 10 Eier gewesen.
1918 noch hätte man für
80 Milliarden Mark 320 Milliarden Eier bekommen; genug, um jeden Bewohner
der Bundesrepublik Deutschland rund 10 Jahre lang jeden Morgen mit einem
Frühstücksei zu versorgen.
50 Milliarden Mark vom Oktober 1923 (Foto: Thomas
Schmidtkonz) |
Jeder Schrecken hat
ein Ende! Am 20. November 1923 war es mit diesem soweit. Die Scheine verloren
ihre Nullen; aber der Preis, den man zu zahlen hatte, war gewaltig: Eine
Rentenmark bekam man im Tausch gegen eine Billion Papiermark. Wissen Sie,
wieviel ein Billion ist? Ich habe immer große Schwierigkeiten, mir
das vorzustellen. Als Zahl sieht das so aus: 1.000.000.000.000, eine 1
mit 12 Nullen. 1 Billion Millimeter ergeben immerhin eine Strecke von 1
Million Kilometer, dass ist 25 mal um die Erde herum. Auch als Zeit
ist eine Billion eine gewaltige Zahl. Ein Tag hat 86.400 Sekunden, 1 Billion
Sekunden wären demnach 11.574.074 Tage oder rund 31.710 Jahre.
Der Wechselkurs für den
amerikanischen Dollar sieht sogar noch beeindruckender aus. Er wurde auf
4,20 Rentenmark für einen Dollar festgelegt, also 4 Billionen 200
Milliarden Mark. Wollen Sie das auch noch einmal als Zahl sehen? Hier,
bitte schön: 4.200.000.000.000! |
Als man im Herbst 1923
das Anwachsen der Zahlen in diese gewaltigen Dimensionen zwar noch nicht
absehen, vielleicht aber schon ahnen konnte, versuchte man vielerorts dieser
Nullen-Schwemme mit anderen Mitteln zu begegnen. Man stellte die Notgeldscheine
nicht mehr auf Mark aus, sondern man nahm den amerikanischen Dollar als
Grundlage für Goldmarkscheine. Dabei nahm man den Vorkriegs-Wechselkurs,
mit dem man auch am Ende der Inflation abrechnete: 4,20 Goldmark für
einen Dollar. So ergab sich die kuriose Situation, dass in Deutschland
Geld gültig war, das auf die Währung eines anderen Staates lautete.
(Diese Situation wiederholt sich heute in Jugoslawien, wo die DM inzwischen
offizielle Währung ist.) |
Seltsame
Wertangaben auf Notgeldscheinen |
Natürlich mussten
diese Scheine - wir sind ja in Deutschland und da hat bekanntlich alles
seine Ordnung - auch gedeckt sein. Mit dieser Deckung war das so eine Sache.
Gold war meistens keines mehr vorhanden und so verfiel man mancherorts
auf den Ausweg, andere vorhandene Werte als Deckung für die Scheine
einzusetzen. Besonders oft war es Getreide, aber auch Holz, Gas, Wasser
und elektrischer Strom wurden benutzt. Ja, sogar Margarine und Ziegelsteine
fanden sich als Währungsangabe auf Scheinen wieder.
Viele dieser sogenannten "wertbeständigen"
Ausgaben wurden auch noch nach dem Ende der Inflation benutzt, da natürlich
nicht gleich neue Zahlungsmittel in ausreichendem Maße zur Verfügung
standen. Eine absolute Notwendigkeit dafür bestand aber nicht. |
Mit der Einführung der
Rentenmark erlangten Deutschlands Wirtschaft und Währung ihre Stabilität
zurück, und - obwohl es noch so manche gefährliche Klippe wie
zum Beispiel die Weltwirtschaftskrise zu umschiffen gab - die Stabilität
blieb weitgehend gewahrt. |
Der
zweite Weltkrieg und seine Folgen |
Einige Jahre später,
nachdem er sich den Deutschen als Erretter aus aller Not präsentiert
hatte, überfiel dann diesen Herrn aus Österreich eine ganz absonderliche
Idee und er setzte sie flugs in die Tat um. Die Welt hatte den zweiten
Weltkrieg. Unter seinen Folgen musste die ganze Welt, besonders aber
Deutschland, fürchterlich leiden - und einige Leute leiden noch heute.
Ein Kronenschein des von Deutschland besetzten
Reichsprotektorat Böhmen und Mähren (Bild von Thomas Schmidtkonz) |
Auch die Wirtschaft wurde
im zweiten Weltkrieg schwer angeschlagen, und so kam es - neben vielen
Ersatzgeldern für Soldaten, Gefangene, Vertriebene und Eingesperrte
- in den letzten Kriegstagen 1945 und nach dem Krieg kurz vor der Währungsreform
1947/48 erneut zu vielen Behelfsausgaben, die die wieder einmal auftretende
Kleingeldnot lindern halfen. |
|